Die Gummistiefel lassen Hans Heinrich Grünhagen und sein Sohn Jan-Steffen neuerdings öfter im Schrank. Wenn die beiden Landwirte wissen wollen, wie es auf ihrem Acker aussieht, klappen sie den Laptop auf. Ein paar Mausklicks, und schon erscheint ein Luftbild, das große, und auch ein paar kleine, oft verwinkelte Flächen rund um das brandenburgische Dorf Heiligengrabe zeigt. Jeden einzelnen Ackerschlag sehen sie von oben, in Grün, Beige und Braun, wie auch jene 1.850 Hektar Land, auf denen die Grünhagens unter anderem Kartoffeln für die Stärkefabrik und Mais für umliegende Biogasanlagen anbauen.
In der digitalen „Ackerschlagkartei“ können die Landwirte Daten zur Qualität des Bodens und – auf Basis von Satellitenbildern – zu seinem Stickstoffgehalt abfragen, aber auch Angaben über Fruchtfolgen, Ernteerträge und Düngermengen. Das hilft ihnen bei den nächsten Anbauplanungen: Wo setzen sie welches Saatgut ein? Wo braucht es Pestizide, wo Mineraldünger, wo ist der Boden fruchtbar genug? Entsprechende Daten werden über eine „Applikationskarte“ auf den Rechner des Schleppers übertragen. Die Maschine weiß, was sie auf dem Acker zu tun hat, und erledigt die Arbeiten GPS-gesteuert.
Aber wo bleibt da die gute alte Bilderbuch-Landwirtschaft? Der Bauer, der die Qualität seiner Scholle riecht, fühlt und schmeckt? Der sie mit Erfahrung und Wissen bewirtschaftet und nicht den Umweg übers Weltall nehmen muss?
Digitalisierung gilt in Zeiten von Erderwärmung und stets wachsenden Anforderungen an Ökologie und Tierwohl, Transparenz und Preisdruck nun auch auf vielen Bauernhöfen als das große Ding. Von einer „dritten Agrarrevolution“ ist die Rede. Bei der ersten wurden die Jäger und Sammler zu Bauern. Die zweite war die industrielle Revolution mit Landmaschinen, Chemie und Züchtungsfortschritten bei Tieren und Pflanzen. Und nun, da man weiß, wie sehr die Ertragssteigerungen auf Kosten der Umwelt gingen, sollen Daten als Treiber der dritten Revolution dabei helfen, Pestizide zu vermeiden und die natürlichen Ressourcen neu zu beleben.
Diese Technologie und Verfahren
werden bereits eingesetzt
2024
2022
Angaben in %
(Befragung unter 500
Landwirtinnen und Landwirte)
Sensortechnik
bei Tierhaltung
und Pflanzenbau
GPS-gesteuerte
Landmaschinen
Intelligente
Fütterungssysteme
Melk- und
Stallroboter
69
58
46
32
28
22
23
24
24
22
19
19
5
3
Drohnen
Farm- oder
Herdenmanage-
mentsysteme
Feldroboter
©ZEIT-GRAFIK/Quelle: Bitkom Research 2024
Für die EU-Kommission sind Digitalisierung und künstliche Intelligenz die Schlüssel zur Umsetzung des Green Deals in der Landwirtschaft. Die Bundesregierung fördert neue Experimentierfelder mit kuriosen Namen wie DigiSchwein oder DigiMilch. Chemieunternehmen wie Bayer versprechen sich von digitaler Technik eine Minderung des Pestizideinsatzes von mehr als 70 Prozent. Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 03/2025. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen. Ausgabe entdecken
Alles begann mit Satelliten, die Wetter- und Geodaten funkten. Weiter ging es mit kamerabewehrten Drohnen und Sensoren, die Stickstoffmangel, Krankheiten oder Trockenheit bei Pflanzen erkannten. Heute entwickeln Wissenschaftler, Start-ups und Konzerne lernende Systeme wie reaktive Weidezäune oder autonome Miniroboter für die Weinlese an steilen Berghängen. Sie kombinieren immer genauere Datensätze, anhand derer Landwirte eine Steigerung des Kohlenstoffs im Boden oder der Artenvielfalt nachweisen können. Und irgendwann könnten die Datennetzwerke so verflochten sein, dass etwa jeder Anspruch an Nachhaltigkeit nachweisbar und kontrollierbar wäre – vom Saatguthersteller über den Bauern bis zum Verarbeiter, Einkäufer und Kunden.
Nicht nur in den großen Agrarbetrieben verändert die Digitalisierung das Berufsbild des Bauern, auch auf fortschrittlichen kleineren Höfen revolutioniert sie den Alltag. Thomas Koppenhagen, Versuchstechniker an der Hochschule für Umwelt und Wirtschaft in Nürtingen, bewirtschaftet in Kirchberg an der Iller zugleich einen Ackerbaubetrieb. Dass der Jungbauer Telefonate und Mails hoch oben in der Kabine seines mächtigen Schleppers erledigen kann, während die Maschine die Feldarbeit macht, spart ihm viel Zeit. Digital gesteuert kann der Schlepper sogar in der Dämmerung durch die Fahrgassen rollen und das Düngen präzise und sparsam erledigen. In einer Gegend, in der viele Flächen nicht größer sind als „hier ein Achteckle, da ein Dreieckle“ sei das, sagt Koppenhagen, besonders effektiv.
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„Die Technik wird nicht krank, sie will keinen Urlaub und meckert nicht.“ Zu diesem Fazit kommt Anja Schnerring, 24 Jahre, die mit ihrer Familie einen kleinen Milchbetrieb auf der Schwäbischen Alb betreibt, mit 70 Kühen und einem Hofladen. Im Stall schaukelt gerade eine weiß-braun gefleckte Kuh auf einen Melkroboter zu. Ein Sensor an ihrem Hals signalisiert, wann sie zuletzt bei der Maschine war. Nur wenn sie wieder ein „Melkanrecht“ hat, geht es los. Der Roboter tastet das Euter ab. Er hat sich gemerkt, wo bei jedem Tier die Zitzen sitzen, reinigt sie mit einer Bürste, setzt den Melkbecher an, wiegt die Milchmenge und speichert sie ab. Die Sensoren erkennen auch die Aktivität und das Fressverhalten der Kuh, bei Schwankungen erhält die Bäuerin eine Nachricht, schließlich könnten das Hinweise auf Krankheiten sein.