Der Brain Drain von Forscher:innen in den USA hat begonnen. Der wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung will aber nicht nur Forschungstalente aus den USA für Deutschland begeistern.
Das Fachmagazin Nature veröffentlichte kürzlich gleich zweimal dramatische Zahlen: 75 Prozent der Forschenden in den USA denken offenbar darüber nach, ihr Heimatland zu verlassen. Und der Brain Drain habe offenbar schon begonnen, hieß es: Die Zahl der Bewerbungen von US-Wissenschaftler:innen in Europa stieg im März um 32 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Forschende und Politiker:innen hierzulande sehen nun die Chance, schlaue Köpfe aus den USA abzuwerben. Josef Penninger, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig plädiert für einen Ansatz, von dem nicht nur die amerikanischen Forschungstalente profitieren.
MIT Technology Review (TR): Sehen Sie in den Menschen, die mit Abwanderungsgedanken spielen, eine Chance für Deutschland und Europa?
Josef Penninger: Ich war 18 Jahre in Nordamerika tätig, in den USA, in Kanada, in Japan, in China. Ich bin eines der Beispiele, wie Wissenschaft sein kann und meiner Meinung nach auch sein sollte: Dass wir international sind, dass wir zusammenarbeiten. Dass wir gemeinsam als wissenschaftliches Friedensprojekt wichtige Themen der Welt angehen – von der Physik zu den Lebenswissenschaften zu Impfungen. Es war immer dieser Austausch von klugen Köpfen, die erst nach Amerika oder woanders hingehen und dann wieder zurückkommen. Und da war Europa, mit Verlaub, nicht wirklich präsent. Also sind die besten Leute in die USA gegangen und sie haben dort die Gelegenheit bekommen, an den Universitäten zu bleiben oder Firmen zu gründen, in die Privatwirtschaft zu gehen. Was wir jetzt brauchen, ist, ein Biotop zu schaffen, damit die besten Leute der Welt – aus China, aus Japan, aus Afrika und natürlich aus Nordamerika und den USA – zu uns kommen wollen, um hier ihre Visionen umzusetzen. Nicht, weil es jetzt gerade opportun ist, sondern weil wir die besten Möglichkeiten haben, weil wir fantastische Forschungsprojekte haben, weil wir Infrastrukturen haben, die wirklich Sinn machen, dass diese Supertalente der Welt zu uns kommen.
TR: Die Politik in Deutschland hat schon zugesagt, sie wolle bei den Visa-Verfahren Hürden abbauen und die Willkommenskultur stärken. Auch Austauschprogramme sollen weiter ausgebaut werden. Und im Koalitionsvertrag, der jetzt vorgelegt wurde, ist von einem 1.000-Köpfe-Programm die Rede. Geht das in die richtige Richtung?
Penninger: Es ist ein fantastischer Anfang, aber noch viel zu kurz gegriffen. Denn am Ende geht es um eine Willkommenskultur. Als ich das erste Mal nach Kanada gegangen bin, stand da: „Welcome to Canada, make us better“. Und das ist die Botschaft, die wir auch aus Deutschland brauchen: „Wir wollen dich, wir brauchen dich und wir werden alles daran setzen, dass du zu uns kommen kannst und dass du als Person, als Wissenschaftlerin mit deiner Familie hier deine Visionen umsetzen kannst, sogar besser als woanders.“ Dazu gehören auch Dinge wie zum Beispiel, dass man Kindergärten schafft, auch für die Kleinsten, und dass sie englischsprachig sind. Dass man unterstützt wird, wenn man die Familie mitbringt. Also, wenn ich in die USA gehe, bekomme ich über meine Institution zum Beispiel die Möglichkeit, einen Kredit für ein Haus aufzunehmen. Solche Dinge sind für die Universitäten in Deutschland sehr, sehr schwierig darzustellen.